Wie Sie Ihr Manuskript überflüssig machen und frei reden

von Birgit Schürmann

Wie Sie Ihr Manuskript überflüssig machen und frei reden

Schauspieler werden oft gefragt: Wie kannst Du Dir den ganzen Text merken? Gute Frage denke ich dann, denn ich gehöre leider zu denjenigen, die sich Texte nicht gut merken können. Für mich ist es harte Arbeit...

Auswendiglernen fällt auch Schauspieler:innen unterschiedlich schwer. Sie sind damit nicht mehr gesegnet, als Menschen, die andere Berufe gelernt haben. Wenn es Schauspieler:innen leicht fällt - Glück gehabt! Denn am Theater sollte man seinen Text zum Beginn der Proben können. Dann hat man 6 Wochen Zeit, ihn zu bearbeiten und zu proben.

Nach 6 Wochen kommt er dann meist glaubhaft rüber und klingt natürlich.

 

Der Vortrag klingt auswendig gelernt

Viele Redner lernen ihren Vortrag auswendig. Wenn Sie ihn vortragen, hört sich das oft merkwürdig an - die Betonungen klingen eigenartig. Worte werden gegen den Sinn eines Satzes betont. Oder es wird gar keine Wort betont. Mhm, das klingt eintönig. Monoton. Die Pausen sitzt an unpassenden Stellen.

Warum ist das so? Einerseits reden wir anders, als wir schreiben. Andererseits kostet es einiges an Arbeit, gelernte Texte natürlich über die Lippen zu bringen. Nicht jeder hat 6 Wochen Zeit, seinen Text durchzukneten, um ihn lebendig werden zu lassen.

Schauspieler unterfüttern ihre Texte mit Bildern. Sie stellen sich Situationen vor und sprechen daraus ihren Text. Sie transportieren Gefühle wie Wut oder Trauer über die Sprache. Dieser Untertext fehlt den auswendig gelernten Vorträgen. Das führt zu eintönigen Vorträge oder Reden.

Die Lösung: Frei reden!

Sich trauen, seine Perfektion über Bord zu werfen und Mut zu möglichen Versprechern und „Ähs und mmhhs...“ zu haben. Der Lohn: Eine natürliche und lebendige Sprache.

 

Frei sprechen mit einer Mindmap im Kopf

Heute stelle ich Ihnen die bestechend einfache Merktechnik meines wunderbaren Kollegen Michael Rossié vor, mit der er seine Vorträge und Reden strukturiert.

Er nennt sie das System der Sterne. 

So gehts: Fassen Sie die Inhalt Ihres Vortrags zu Themenblöcken zusammen. Jedes Themen ist ein Stern. Seine Strahlen sind die verschiedenen Unterthemen. Bilden Sie 6-8 Strahlen um einen Stern, zu denen Sie jeweils 2-3 Sätze sagen.

 

Zuallererst das Wichtigste 

Nehmen wir an, Sie haben eine saftige Gehaltserhöhung ausgehandelt. Kommen Sie nach Hause und erzählen die Verhandlung von Anfang an? 

Nein, Sie fallen mit der Tür ins Haus! Zuerst nennen Sie den Betrag, den Sie rausgeschlagen haben.

Erst dann zitieren Sie Ihre Argumente. Die Antworten auf Ihre Argumente und wie Sie Ihre Forderung durchsetzten. Und nein, Sie gehen nicht der Reihenfolge nach vor. Und Sie variieren je nach Situation und Zielgruppe. Ihrer Oma erzählen Sie eine andere Geschichte, als dem verhassten Kollegen, bei dem Sie auftrumpfen wollen.

Auch im Alltag erzählen wir in Sternen. Manchmal erzählen wir kurz und knapp, manchmal holen wir weiter aus, je nach Kontext. Wenn wir mal einen Strahl vergessen, ist das völlig in Ordnung, das merkt niemand. Dasselbe gilt auch für unsere freie Rede.

 

Die freie Rede mit dem Liebling starten

Starten Sie Ihre freie Rede mit Ihrem Lieblingsthema, über das Sie gerne reden und in dem Sie sich sicher fühlen. Dann erinnern Sie sich an Ihre Sterne und arbeiten die Strahlen in unterschiedlichen Reihenfolgen ab. Passend zur jeweiligen Situation und Zielgruppe.

Schreiben Sie Sachinformationen und schwierige Passagen Ihres Vortrags auf einen Stichwortzettel. Komplizierte Namen können Sie mit Bindestrich aufschreiben oder so, wie Sie den Namen aussprechen. 

 

Rhetoriktipp 1. Manchmal ist ablesen auch okay

Besondere Anlässe fordern Ausnahmen. Zu feierlichen Anlässen - beispielsweise einer Trauer- oder Gedenkfeier - kann das Ablesen einer Rede zum Rahmen der Feier passen. Gleichzeitig habe ich aber auch sehr berührende freie Reden auf Trauerfeiern erlebt. Das Top-Model Claudia Schiffer erhielt 2017 einen Bambi in der Kategorie Fashion. Ihre Dankesrede las sie vom Blatt ab. Ich fand es okay, denn ein Top-Model muss meiner Meinung nach vor einem Millionenpublikum nicht frei reden können, es wäre schön, aber es erwartet niemand.

 

Rhetoriktipp 2. Sterne strukturieren Ihre Inhalte

Formen Sie aus Ihren Kernthemen eine Galerie der Sterne in Form einer Mind-Map. Jeder Strahl eines Sterns ist ein Gedanke zum Thema. Bei mehr als 8 Strahlen bilden Sie einen neuen Stern. Suchen Sie sich den Knotenpunkt heraus, bei dem Sie sich besonders sicher fühlen. Mit diesem Strahl beginnen Sie Ihren Vortrag.

 

Praxistipp 3: Beim Aufräumen Selbstgespräche führen

Gehen Sie immer wieder Teile Ihres Vortrags durch. Greifen Sie verschiedene Strahlen Ihrer Sterne auf und während Sie aufräumen oder spazieren gehen, murmeln Sie sie vor sich her. Das fördert Geläufigkeit und Sicherheit. Oder Sie testen die Wirkung auf Familie oder Freunde und fügen sie beim gemeinsamen Essen ins Gespräch ein. Probieren Sie sich mit einer einfachen Wortwahl aus, die auch Kinder oder fachliche Laien verstehen. Das schult ungemein und erweitert Ihre sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten. Kinder sind gut Kritiker. Wenn Sie lachen oder interessiert zuhören - Bingo!

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