
von Birgit Schürmann
Warum Sie nicht auf jeden Rhetoriktrainer hören sollten
Ich persönlich mag es, wenn Vortragende ihre Gesten expressiv einsetzen. Es unterstützt ihre Wirkung und somit auch ihren Inhalt. Zusätzlich können Gesten Struktur und Klarheit vermitteln.
Manche Rhetoriktrainer (Trainerinnen natürlich auch) gehen noch weiter. Sie halten ihre Teilnehmenden dazu an, Gesten nur über der Gürtellinie stattfinden zu lassen, im sogenannten neutralen Bereich, und auf keinen Fall eine oder sogar beide Hände in der Hosentasche zu versenken.
Die Petze Körpersprache
Am Theater ist es gang und gäbe, dass Regisseurinnen Vorschläge geben, wie die Schauspielenden etwas spielen sollen.
So gibt es Regisseure, die den Schauspielenden Gesten vorspielen. Die Schauspieler und Schauspielerinnen arbeiten daran, die vorgespielte Geste zur eigenen werden zu lassen. Zum schauspielerischen Handwerk gehört, dass dies recht schnell gelingt. Gelingt es mal nicht, findet er oder sie keine geeignete Übersetzung für sich, dann wirkt die Geste weiterhin unnatürlich.
Und so ergeht es vielen Vortragenden ohne schauspielerischem Handwerk, die während einer Präsentation, eines Vortrags lässig ihre Hand in der Hosentasche vergraben und denen plötzlich der O-Ton Ihres Trainers einfällt: Ah nee, das geht gar nicht. Ab mit den Händen über die Gürtellinie!
Dann petzt die Körpersprache. Die Hand zuckt aus der Hosentasche, wird ungelenk im neutralen Bereich platziert und das Publikum erkennt: Da stimmt was nicht.
Sich beim Auftritt frei fühlen und Spaß haben
Meiner Meinung nach sollte man Teilnehmende eines Seminars mit solchen Regeln verschonen und sie darin unterstützen, dass sie sich bei ihrem Auftritt frei fühlen und viel Spaß zu haben.
Es gibt viele Menschen, die nicht gern im Mittelpunkt stehen. Denen die zweite Reihe lieber ist. Denen man anmerkt, dass sie sich im Fokus der Aufmerksamkeit nicht wohl fühlen. Das Publikum erkennt es an ihrer Körpersprache, der Sprechweise oder möglicherweise an urplötzlich auftretenden Ticks.
Klar, das kann man natürlich kritisieren, man kann zählen, wie häufig das Phänomen auftritt und die Zahl dem Teilnehmer triumphierend unter die Nase halten.
Beim Auftritt Ihre inneren Kritiker in Schach halten
Aber haben die Teilnehmenden nicht mehr davon, wenn wir ihnen Möglichkeiten aufzeigen, wie sie ihre inneren Kritiker in Schach halten? Negative Glaubenssätze entkräften und größtmögliche Freiheit entwickeln?
Ein Tipp: Konzentrieren Sie sich bei Ihres Vortrags oder Rede darauf, was Sie sagen wollen.
Und damit meine ich: Wenn Sie an den Inhalt glauben, über den Sie reden und den Sie präsentieren, wenn Sie bestenfalls von Ihrem Inhalt begeistert sind, beseelt sind, dann brauchen Sie keine Fremdwörter, keine distinguierte Ausdrucksweise und auch kein lupenreines Deutsch. Dann darf Ihnen auch mal ein Wort nicht einfallen oder ein Satz nicht gelingen - Hauptsache, Sie stehen zu 100 % hinter Ihrem Inhalt. Je stärker Sie an Ihren Inhalt glauben, desto überzeugender wirken Sie auf Ihr Publikum!
Die Perfektions- und Imitationsfalle
Gleichzeitig sollten wir uns davor hüten, allzu perfekt sein zu wollen. Unser Publikum will einen Menschen vor sich sehen. Einen Menschen mit Ecken, Kanten und Schwächen.
Gregor Gysi ist ein großartiger Rhetoriker. Wir können analysieren, was ihn aus der Menge der politischen Redner herausstechen lässt. Wir können uns ansehen, wie er seine Reden aufbaut. Was ihn dabei unterstützt, schlagfertig zu sein - aber es wäre Quatsch, ihn imitieren zu wollen.
Die rhetorischen Talente der Menschen sind völlig unterschiedlich. Manche, wie zum Beispiel mein Interviewpartner Roderich Kiesewetter aus „Frei Reden im Bundestag“, können aus dem Stand druckreife Sätze formulieren. Andere erzählen spannende Geschichten und setzen eine exakte Pointe. Und wieder andere sind im Moment schlagfertig und nicht erst zehn Minuten später.
Emotional ja, perfekte Rhetorik nein
Es ist wichtig, dass wir uns auf unsere eigenen rhetorischen Fähigkeiten besinnen, sie ausbauen und unseren eigenen Stil finden. Unseren persönlichen Ausdruck. Und das leben, was wir sagen.
Ob Sie Emotionen bei Ihrem Publikum auslösen, hängt nicht von der perfekten Rhetorik ab. Und die emotionale Kraft Ihrer Rhetorik ist unabhängig von der Anzahl der Worte, die Sie zur Verfügung haben.
Von der Wutrede des Giovanni Trappatoni „Ich habe fertig“ verstehen wir nicht jedes Wort, aber den Inhalt, den verstehen wir sehr schnel. Wir begreifen, was ihm am Herzen liegt. Wir erkennen den Menschen Trappatoni samt seinen Werten. Und die berühren.
0 Kommentare