von Birgit Schürmann

Warum einem begeisterten Publikum Perfektion wurscht ist

Wir Menschen interessieren uns dafür, wie andere Menschen sind. Uns interessiert brennend, wie sie sich andere verhalten und was sie erlebt haben. Besonders, wenn jemand auf der Bühne steht, wollen wir den Menschen sehen und begreifen. Wir wollen Ecken und Kanten sehen. Schwächen und Menschliches. Das bedeutet für alle Vortragende: Wir dürfen vor unserem Publikum unsere Unperfektion zulassen.

 

Kein Auftritt ohne Relevanz

1. Wenn ich über Unperfektion spreche, dann bedeutet es für mich: kein Freifahrtschein für mangelhaften oder fehlenden Inhalt. Für einen gelungenen Vortrag  ist der gute Inhalt, ein top Content die wichtigste Voraussetzung.

2. Ich unterstütze nicht den Gedanken, dass es okay ist, spontan und schlecht vorbereitet aufzutreten. Unser Publikum hat unsere größtmögliche Vorbereitung verdient und eine gute Vorbereitung ist die halbe Miete für eine mitreissende Präsentation.

3. Meiner Meinung nach sollten nur dann auftreten, wenn wir auch etwas zu sagen haben. Etwas Bedeutendes, relevant für unser Publikum. Etwas, von dem wir selber begeistert, bestenfalls beseelt sind. Sprechen Sie beseelt über Ihre Sache, Ihr Anliegen, dann überträgt sich Ihre Begeisterung auch auf die Zuschauenden.

 

Füllwörter hängen vom Gehirnschmalz ab

Dann ist es egal, welche Formulierungen Sie verwendenmit wie vielen Füllwörtern Sie Ihre Sprache spicken. Wie viele Ähs, mmh, halt ebens oder irgendwies Sie im Satz unterbringen. Ob Sie sich versprechen oder verhaspeln. Hängen Ihre Zuschauenden gebannt an Ihren Lippen, bemerken sie die Füllwörter nicht.

Je tiefer Sie gedanklich in Ihrem Inhalt stecken und je sicherer Sie werden, desto schneller reduziert sich die Anzahl der Füllwörter.

Angelika Braun, Phonetik-Professorin an der Uni Trier sagt: Das Ähen ist abhängig davon, wie stark der Einsatz von Gehirnschmalz gerade ist.

Ähms & Co gelten in der Wissenschaft als sprachliche Verzögerungsphänomene. Wir gebrauchen sie, um zwischen zwei Sätzen unsere Gedanken zu ordnen. Um Zeit zu schinden. Laut der Studie von Angelika Braun an der Uni Trier (2023) können wir nicht nur an unseren Füllwörtern identifiziert werden, sondern es ist leider auch schwer, sich Füllwörter ganz abzugewöhnen. 

Erste-Hilfe-Tipp der Phonetikerin: Füllwörter durch Pausen ersetzen.

 

Freiheit lässt zur Höchstform auflaufen

Aber zurück zur Unperfektion: In meinen Seminaren erlebe ich, dass die spannendsten Momente entstehen, wenn sich Teilnehmende während Ihres Auftritts frei fühlen und Spaß an der eigenen Performance haben. 

Ist ihr Publikum begeistert und legt für sie den roten Teppich aus, fahren sie zur Höchstform auf. Sie wachsen über sich hinaus. Die Freude über Zustimmung berauscht. Und spätestens jetzt denken meine Teilnehmenden keine Sekunde mehr darüber nach, wie sie wirken.

Fazit: Wichtiger, als das Streben nach Perfektion ist das Streben nach innerer Freiheit. Der Zustand, in dem Sie ganz im Hier und Jetzt eintauchen. Ohne Angst vor Bewertungen, ohne störendes Kopfkino oder innerer Zensur. 

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