von Birgit Schürmann

Warum Du-Botschaften Ihr Gegenüber auf die Palme bringen

Es begann mit einem olivfarbenen Fischerhut. Mit Ösen zur Belüftung. Momentan liegt er voll im Trend - hier in Berlin sieht man ihn in allen Varianten, Kunstfell, Cord, Frottee - aber damals war der jetzt liebevoll genannte Bucket Hat weit, ja, Lichtjahre vom Kultstatus entfernt. Mein damaliger Freund wollte mich zu einer meiner Premiere begleiten. Warum auch immer, zur Feier des Tages setzte er so ein Ding auf. Attraktiver machte es ihn nicht, im Gegenteil...

Möglicherweise würde ich es heute anders sehen und ihn als modischen Vorreiter bewundern, ja... vielleicht, für unser Thema spielt es aber jetzt keine Rolle.

Zuerst fragte ich (wirklich!) vorsichtig: Sag mal, kann der Hut nicht zu Hause bleiben? Nichts zu machen... Ein kurzer Wortwechsel und ich war beim: Mit dem Teil machst Du Dich lächerlich!

BAM! Eine Du-Botschaft.

Die heizte die Diskussion erst mal so richtig auf. Das Ende vom Lied: Wir stritten uns und das abgewetzte Ding klebte den ganzen Abend auf seinem Kopf.

 

MEIN WUNSCH WURDE SEIN PROBLEM

Ich hatte also ein Bedürfnis, einen Wunsch. In meinen Augen sollte die hässliche Kopfbedeckung weg. Meinen Wunsch formulierte ich aber so, als ob er sein Problem wäre. 

Was steckt dahinter?

Erst mal ein Bedürfnis: Meiner Meinung nach wirkte der Hut megapeinlich. Ich wollte nicht, dass andere meinen Freund abwerten. Ich wollte mich nicht fremdschämen. Und ich wollte auch nicht abgewertet werden. Ich wollte nicht, dass jemand denkt: Was hat die denn für einen komischen Freund? Ich wollte, dass ihn alle toll finden und ich wollte stolz auf ihn sein.

Dieses Bedürfnis kommunizierte ich aber leider nicht. Stattdessen sagte ich: Mit dem Ding machst Dich lächerlich! 

Was dachte er? Er empfand mein Aussage Du machst Dich lächerlich als Vorwurf, Abwertung, als Herabsetzung. Darauf reagierte er mit Widerstand, Trotz war bestimmt auch dabei und die Chance, dass er das schäbige Ding mir zuliebe in der Tasche verschwinden lässt, war verspielt.

 

ABWERTENDE DU-BOTSCHAFTEN

Im Konflikt schießen die sogenannten Du-Botschaften wie Pilze aus dem Boden. 

Klassiker, die wir aus Beziehungskonflikten kennen, sind:

  • Nie lässt du mich ausreden!
  • Immer guckst Du allen Frauen hinterher!
  • Ich bin Dir doch total egal!
  • Nie kümmerst Du Dich um mich!

oder aus unserem beruflichen Alltag: 

  • Das hättest Du doch wissen müssen!
  • Sie sollten besser…
  • Müssen Sie eigentlich immer…
  • Das haben wir hier noch nie so gemacht!

Statt offen über unsere Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen, fällt eine Aussage über unser Gegenüber. Wir sprechen über sein oder ihr (Fehl-) Verhalten. Formulieren wir Du-Botschaften, werten wir uns selbst auf und fühlen uns im Recht.

 

DU-BOTSCHAFTEN VERZERREN DIE WIRKLICHKEIT

Angenommen, Sie arbeiten in der Pflege und Ihr Kollege sagt zu Ihnen: Immer kommst Du zu spät! oder: Nie bist Du pünktlich! Vielleicht schiebt er noch eine Interpretation hinterher: Dass Du zu spät bist, bedeutet doch, dass Dir egal ist, dass wir Deine Arbeit mit erledigen müssen!

Vermutlich ärgern Sie sich: Was? Das stimmt doch gar nicht!

Ihr Kollege verzerrt die Wirklichkeit mit einer Generalisierung: Du kommst IMMER zu spät, NIE bist Du pünktlich!

Dann selbst, wenn Sie sich mal verspäten - Sie sind bestimmt das eine oder andere Mal pünktlich da gewesen. Vielleicht haben Sie sogar häufiger pünktlich als unpünktlich auf der Matte gestanden, aber diese Male tilgt Ihr Gesprächspartner, er wischt sie sozusagen unter den Tisch.

 

ICH-BOTSCHAFTEN LÖSEN EMPATHIE AUS

Zurück zu meinem verunglückten Premierenabend. Hätte eine sogenannte Ich-Botschaft die Wogen geglättet? Zu 90 Prozent ja.

Zum Beispiel mit: Ich will, dass Dich alle bewundern. Ich fürchte, dass andere über den Hut lachen, Dich abwerten und dann schäme ich mich für uns

Diese klaren und ehrlichen Worte hätten unsere nächste Eskalationsrunde mit Sicherheit vermieden.

Ich-Botschaften schaffen ein offenes Klima und lösen Empathie aus. Spricht eine Person über ihre Gefühle und zeigt ihre Verletzlichkeit, öffnet sich auch die andere Person und antwortet auf dieselbe Art und Weise. Die Form fördert Verständnis und Nähe.

 

DIE 4 ELEMENTE EINER ICH-BOTSCHAFT

Ich-Botschaften bestehen aus 4 Elementen. Diese können sie in beliebiger Reihenfolge nutzen:

 

1. Welches Verhalten stört Sie?

Benennen Sie das Verhalten, das Sie stört, möglichst neutral, konkret und ohne irgendeine Bewertung:

  • Du begleitest mich zu meiner Premiere und Du hast einen Hut auf, über dessen Aussehen wir geteilter Meinung sind.

Können Sie das Verhalten mit Zahlen, Daten und Fakten belegen? Dann könnten Sie es noch greifbarer formulieren:

  • Arbeitsbeginn ist um 8 Uhr, am Montag warst Du um 08:25 Uhr hier.

Mein Tipp ist: Versuchen Sie genau zu unterscheiden bzw. zu überprüfen: Was haben Sie wahrgenommen und was ist möglicherweise eine Interpretation.

 

2. Welche Folgen hat das Verhalten ausgelöst?

Spürbare Folgen sind zum Beispiel der Verlust von Zeit, Geld oder Energie.

  • Ich ärgere mich den ganzen Abend über unseren Streit. Das kostet mich viel Energie, für meine Premiere brauche ich auch Kraft und Energie. Das ist mir zu viel, ich möchte lieber mit Dir zusammen entspannt meine Premiere feiern.

Oder im zweiten Beispiel:

  • Verspätest Du Dich, kostet es uns Energie, denn wir übernehmen zusätzlich deine Arbeit und die Patienten oder Kundinnen kommen zu kurz.

 

3. Was fühlen Sie?

Spüren Sie Ihren Bedürfnissen, Wünschen und Gefühlen nach. Versuchen Sie diese in Worte zu fassen.

  • Ich möchte, dass Dich alle toll finden. Ich mache mir aber Sorgen, dass über Deinen Hut gelacht wird. Das jemand ihn albern findet. Dann schäme ich mich und das will ich vermeiden.
  • Ich wünsche mir einen reibungslosen Arbeitsablauf. Mir ist die optimale Betreuung der Patienten oder Kundinnen wichtig. 

 

4. Was soll sich ändern?

Hier ist jetzt Platz für Ihren Wunsch, ihre Bitte: Was soll in Zukunft passieren? Worauf wollen Sie sich einigen?

  • Eine Premiere ist für mich mit viel Aufregung verbunden. Ich wünsche mir, dass wir in einer für mich stressigen Situation zusammenarbeiten. Und dass der Fischerhut bei der nächsten Premiere zu Hause bleibt.
  • Bitte sei in Zukunft pünktlich um 8 Uhr hier.

 

ZU BEGINN HOLPRIG

Ich-Botschaften im Konflikt zu nutzen, braucht ein bisschen Übung. Wenn Sie die Dialoge zum ersten Mal hören, denken Sie vielleicht an ein holpriges Drehbuch, über das ein Schauspieler sagen würde: Die Worte kriege ich nicht in meinem Mund...

Mit der Zeit wird es flüssig und Sie werden merken, welche Kraft - nicht nur in Beziehungskonflikten - in den ich-Botschaften stecken. Sie fördern Ihren Dialog, statt dass Sie sich in gegenseitigen Anschuldigungen verlieren. Sie entschärfen heikle Situationen und sorgen für ein verbindliches Gespräch. 

 

VERSTECKTE DU-BOTSCHAFTEN

Die Aussagen: Ich finde, Du solltest in Zukunft pünktlich sein! oder Ich mag es nicht, wenn Du mich unterbrichst! oder Ich bin der Ansicht, dass Sie rücksichtslos sind! beginnen alle mit einem Ich.

Ein Ich zu Beginn einer Aussage macht sie noch lange nicht zu einer ich-Botschaft. Im Gegenteil - wir haben es mit versteckten Du-Botschaften zu tun. Wenn Sie nachspüren, erkennen Sie, dass hier keine Bedürfnisse oder Wünsche beschrieben werden, sondern dass dahinter ein Vorwurf lauert.

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