Storytelling: Was wir von erfolgreichen Drehbüchern lernen können

von Birgit Schürmann

Storytelling: Was wir von erfolgreichen Drehbüchern lernen können

Kennen Sie das: Jemand erzählt Ihnen eine Geschichte und Sie erwischen sich nach kurzer Zeit dabei, dass Sie sich langweilen? Oder sich fragen: Worum geht es hier eigentlich?

Zu schade, wenn Sie mit Ihrer Geschichte die Kunden für Ihr Produkt oder Mitarbeiter für Ihre Idee begeistern wollen und unterwegs Ihre Zuhörer verlieren. Geschichten pointiert und spannend zu erzählen, wird nicht allen in die Wiege gelegt. Die gute Nachricht ist: Man kann es lernen! 

Lassen Sie uns gemeinsam professionellen Geschichtenerzählern auf die Finger schauen und von ihrem dramaturgischen Know-how den Aufbau guter Geschichten lernen.

 

Drehbuchpreise für Good bye, Lenin!

Das Drama Good bye, Lenin! wurde mit Auszeichnungen überhäuft: 9 deutsche und 6 europäische Filmpreise, darunter 2 Preise für das beste Drehbuch. Ein tolles Drehbuch, aus dem ein vielschichtiger Film entstand. All seine Details greifen ineinander.

Der Drehbuchautor Bernd Lichtenberg und der Regisseur Wolfgang Becker schicken in der Mauerfallkomödie den jungen Alex aus Ostberlin auf eine sogenannte Heldenreise. Mit dem verträumten Alex haben sie einen Charakter mit hohem Sympathiewert entworfen, der glaubwürdig und nachvollziehbar für die Zuschauer agiert.

Das Drehbuch beschreibt einen Konflikt aus einer Welt, die wir alle kennen. Das bedeutet für uns Vortragende: Wir greifen die Berufs- oder Lebenswelt unseres Publikums auf. Und diese ist nie ideal – im Gegenteil! Sie steckt voller Widersprüche. Je mehr Widersprüche, desto mehr Stoff steht Ihnen für Ihr Storytelling zur Verfügung.

 

Houston, wir haben ein Problem und brauchen noch eins

Gute Geschichte leben von Gegnern, Problemen und Hürden, die sich dem Protagonisten (der Protagonistin natürlich auch - der einfachen Lesbarkeit halber bleibe ich beim er)  in den Weg stellt. Es bündelt seine Kräfte und lässt ihn zur Höchstform auflaufen. Ohne einen emotionalen Konflikt, ohne eine Drama wird es einfach nicht spannend – je unüberwindlicher das Problem, je mehr Gegenwind dem Protagonisten entgegenweht und je mehr Fantasie er aufbringen muss, um seinen Weg zu finden, desto gebannter sind die Zuschauer.

Ebenso wichtig: Wer ist mit von der Partie und unterstützt ihn? Gibt es einen schillernden Gegenspieler, einen Antagonisten, der ihn bekämpft? Was wäre James Bond ohne einen großartigen Bösewicht, der ihm das Leben zur Hölle macht?

Wie wäre es mit Mitstreiter:innen, die am Helden zweifeln? Tatortkommissar:innen werden regelmäßig entlassen, weil sie ihre Grenzen überschreiten und ermitteln auf eigene Faust weiter.

Welche Probleme, welche Hindernisse gibt es in Good bye, Lenin!? Die Mutter von Alex, eine überzeugte Genossin, lag 8 Monate lang im Koma. Sie hat die Wende nicht miterlebt und Alex hat Angst, das schwache Herz der Mutter würde die Aufregung über die Wiedervereinigung nicht überstehen. Alle Entscheidungen, die er trifft, ordnen sich seinem Leitmotiv: Meine Mutter darf auf keinen Fall von der Wende erfahren!! unter.

 

Fieberhafte Suche

Alex sucht fieberhaft nach Lösungen. Zusammen mit seiner Schwester lässt in der Plattenbauwohnung die DDR wieder auferstehen. Der Drehbuchautor von Good bye, Lenin! bauen die Konflikte systematisch auf: Jeder Lösungsversuch von Alex wirft ein neues Problem auf. Die Möbel, die nach der Wende in den Keller verbannt wurden, müssen zurück in das Zimmer der Mutter – ausgerechnet jetzt ist der Fahrstuhl in den 8. Stock ist kaputt. Die Mutter wünscht sich Spreewaldgurken – zufällig wird im Supermarkt das neue Westsortiment eingeräumt. Und auch aus dem Müll lassen sich keine Original Gurkengläser fischen.

Der Autor nutzt Zufälle, um die Situation für Alex stetig enger und unangenehmer werden zu lassen. Andererseits nutzt er keine Zufälle, um seine Situation zu erleichtern - dies überlässt er der Kreativität von Alex. Er lässt Alex auf Flohmärkten nach ausgemusterten DDR-Utensilien stöbern, Nachbarn und Schulkinder für Geburtstagsständchen in FDJ-Hemden anheuern.

Die Mutter von Alex möchte Fernsehen gucken. Also fingiert er gemeinsam mit seinem besten Freund Denis, einem Videofreak und angehendem Regisseur, für das vermeintliche DDR Fernsehen Reportagen und Ausgaben der „Aktuellen Kamera“. Immer wieder kommt es zu unvorhergesehenen Ereignissen, die nach neuen Lösungen lechzen und die Geschichte vorantreiben.

 

Wechselbäder der Gefühle

Nichts bringt mehr Schwung in eine Geschichte, als stetiger Wandel. Wechsel von Hoch auf Tief, von Glück auf Verzweiflung, von Freude auf Trauer. Veränderungen füttern eine gute Dramaturgie. Die Welt, die Alex für seine Mutter erschafft, droht immer wieder aufzufliegen und wir Zuschauer erleben mit Alex ein Wechselbad der Gefühle. Kaum ist eine Lösung in Sicht und wir atmen auf, taucht am Horizont eine neues Tief in Form eines neuen Hindernisses auf und der Schweiß steht uns erneut auf der Stirn. 

 

Das hätte ich NIE gedacht

Gutes Storytelling lebt von Überraschungen. Mein Tipp: Widersprechen Sie der Erwartungshaltung Ihres Publikums. Kurz vor dem Ende macht sich die Überraschung am besten und treibt eine Geschichte in eine völlig neue Richtung. Eine Überraschung kann auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden: entweder durch ein unvorhergesehenes Verhalten eines der Protagonisten, weil neue Fakten ans Licht kommen oder weil die Handlung urplötzlich eine Kehrtwende macht.

Good bye, Lenin hält auch eine Überraschung in Form der Lebensbeichte der Mutter parat. Vor Jahren war der Vater von Alex in die BRD geflohen. Die Mutter hielt immer Kontakt zu ihm., Ursprünglich wollte sie mit der Familie nachkommen - keiner hat davon gewusst. Diese Information entwirft ein ganz neues Bild der Mutter und die Geschichte bekommt mit dem Auftauchen des totgeglaubten Vaters eine völlig neue Farbe.

 

Rhetoriktipp 1. Je unüberwindlicher, desto spannender 

Lassen Sie den Gegner, das Problem oder das Hindernis möglichst groß und unüberwindlich wirken. Stellen Sie starke positive starken negativen Kräften gegenüber. Lassen Sie Ihren Helden den Ruf seines Abenteuers hören. Und Ja! zum Abenteuer sagen.

 

Rhetoriktipp 2. Ihr Held mobilisiert alle Kräfte 

Ihr Held hat seine Heldenreise angetreten. Wie löst er sein Problem? Je mehr Kräfte er mobilisiert, desto interessanter wird's für den Zuschauer. Lassen Sie Ihren Helden, Ihre Heldin nicht zur Ruhe kommen und immer nach neuen Lösungen suchen.

 

Rhetoriktipp 3: Zweifel, Zufälle und Peinliches 

Geizen Sie nicht mit nachvollziehbaren Hochs und Tiefs und schicken Sie Ihre Zuhörer in ein emotionales Wechselbad der Gefühle. Streuen Sie Zweifel, ob Ihr Held, hre Heldin in der Lage sein wird, das Problem, den Gegner, die Hindernisse zu bezwingen. Zufälle sollten die Situation verschlimmern, nicht verbessern! Loten Sie die Abgründe eines Tiefs aus. Und umschiffen Sie keine peinlichen Momente – Ihr Publikum wird Sie dafür lieben.

 

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