
von Birgit Schürmann
Raus aus der Sprachlosigkeit - Trauer steckt nicht an, Schweigen schon
Wenn eine schwere Krankheit plötzlich das Leben begrenzt, ist für die Betroffenen nichts mehr, wie es war. Für die Betroffenen steht die Welt still. Die eigene Welt. Aber die Welt da draußen? Sie lebt und dreht sich weiter. Und wirkt im Angesicht des Todes schöner denn je. Grausam schön. Unerreichbar schön.
Die Betroffenheit unter Freunden und Verwandten ist groß. Der Tod lässt sich schwer begreifen. Der Schock sitzt tief. Ja, wir wollen helfen! Aber wie? Und genau hier beginnt das Problem, über das ich heute sprechen möchte.
Hilfsbereitschaft endet in Distanz
Oft mündet die Hilfsbereitschaft in Sprachlosigkeit und Beklemmung. In Ausweichmanövern und Weglaufen. Freunde und Verwandte nehmen Rücksicht, die manchmal nichts anderes ist als Distanz. Und das führt dazu, dass der Kranke einsamer wird, als er ohnehin schon ist.
Wir meiden den oder die Betroffenen, nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus Überforderung. Wir wissen nicht, was wir sagen sollen. Haben Angst, etwas Falsches zu sagen. Also sagen wir lieber gar nichts.
Die Folge? Die Gesunden verlernen ihre Natürlichkeit und Schweigen umringt den Kranken. Ausgerechnet jetzt, wo Nähe so wichtig wäre. Wo ein einziges ehrliches Wort mehr wiegen könnte als tausend leere Floskeln.
Das Unsagbare sagbar machen
Es ist nicht nur der Tod, der schmerzt. Genauso schmerzt auch das Schweigen darüber. Es ist die Trauer, die keinen Raum bekommt.
Daher mein Plädoyer: Lassen Sie uns lernen, wieder natürlich zu sprechen. Mit denen, die betroffen sind und mit denen, die trauern. Schmerz ist Teil unseres Menschseins. Er fordert uns heraus. Und wenn wir ihn verdrängen, dann wird er gefährlich.
Dabei kann gerade jetzt eine Kommunikation, die gelingt, dazu beitragen, der Angst vor dem Sterben etwas von ihrer Wucht zu nehmen. Eine Kommunikation, eine Sprache, die nicht verkleistert, sondern befreit. Denn Worte können Angst nehmen. Sie können Nähe schenken. Sie können das Unsagbare ein kleines Stück sagbar machen. Sie können beiden Seiten Tiefe und Verständnis geben. Unser Leben bereichern.
Am Ende geht es nicht nur darum, anderen zu helfen. Es geht darum, unser aller Leben zu bereichern. Durch Tiefe. Durch Verständnis. Durch eine Kommunikation, die nicht verschweigt, sondern verbindet.
Trauer schmerzt. Trauer dauert. Aber steckt nicht an. Wir müssen lernen, sie zuzulassen. Nur wenn wir Trauer verdrängen oder übergehen, macht sie krank. Und gehört Schmerz nicht zum Mensch sein?
Sei fest bereit zu sterben, denn Tod und Leben, beides wird dadurch süßer. (Shakespeare)
Die Kunst der echten Begegnung
Wir leben in Zeiten einer Leistungsgesellschaft, die wenig Raum für Schwäche und Verletzlichkeit lässt. Die Effizienz über Empathie stellt. Die fragt: Was bringt's? Statt: Was braucht's?
Wie kann uns unter diesen Bedingungen der Umgang mit Betroffenen gelingen?
Die Antwort liegt in der Natürlichkeit. In der Echtheit. In der Bereitschaft, uns nicht hinter Phrasen zu verstecken.
Was bedeutet es konkret? Wie finden wir die richtigen Worte, wenn unsere Sprache zu versagen scheint?
Was ist Balsam für die Seele eines Menschen, der weiß, dass seine oder ihre Zeit begrenzt ist?
- Ihre Anwesenheit. Schweigen darf sein. Sie brauchen keine perfekten Worte. Einfach da sein reicht. Aushalten. Nicht weglaufen, wenn es schwer wird. Das ist bereits mehr, als Sie vielleicht denken. Viele fürchten, etwas Falsches zu sagen. Doch wissen Sie was? Schweigen ist nicht falsch. Es kann trösten. Wenn es ein Schweigen ist, das Raum gibt, das Nähe schafft. Ein Schweigen, das spürbar sagt: Ich halte das mit dir aus. Ganz anders als das Schweigen, das entsteht, wenn wir wegsehen, die Straßenseite wechseln oder den Kontakt abbrechen. Das eine Schweigen verbindet - das andere trennt.
- Statt Floskeln eine natürliche Sprache. Ehrlichkeit. Das klingt unscheinbar, doch es ist echt. Echtheit ist das größte Geschenk in Zeiten von Not. Ich weiß nicht, was ich sagen soll ist tausendmal wertvoller als Kopf hoch!, Es wird schon wieder oder Andere haben es auch geschafft. Diese Sätze mögen gut gemeint sein, laufen aber ins Leere. Sie bagatellisieren, anstatt ernst zu nehmen. Sie trösten nicht, sie verletzen.
- Zuhören. Wirklich zuhören. Trauer als Teil des Lebens annehmen. Nicht, um zu antworten, sondern um zu verstehen. Lassen Sie den anderen sprechen. Über seine oder ihre Ängste. Seine Wut. Seine Trauer. Das ist keine rhetorische Technik, das ist Menschlichkeit.
Der Mut der Gegenwart
Der Anblick eines veränderten Menschen, eines durch Krankheit gezeichneten Menschen trifft mitten ins Herz. Manchmal ist es schwer auszuhalten. Ziehen Sie sich nicht zurück, versuchen Sie es. Halten Sie das Hospiz aus. Das Pflegeheim oder das Krankenhaus.
Ja, es ist zum kotzen, es ist schwer zu ertragen. Bleiben Sie dran - mit allem was dazugehört. Gehen Sie hin und haben Sie den Mut, da zu sein. Für die Menschen, die Sie brauchen.
Mitgefühl statt perfekte Worte
Wie ist es mit Trauernden? Mit den Menschen, die kürzlich jemanden verloren haben? Unsere Leistungsgesellschaft will oft schnelle Lösungen. Wir wollen, dass alles wieder funktioniert, dass Menschen rasch zurück ins Leben finden.
Ist doch jetzt gut langsam!
Doch Trauer folgt keinem Zeitplan. Sie will durchlebt werden. Sie braucht Sprache, Rituale und Gemeinschaft. Kommunikation kann hier Halt geben: indem wir zuhören, Fragen stellen, auch nach Wochen oder Monaten noch sagen: Ich denke an dich. Wie geht es dir wirklich?
Wenn wir so miteinander sprechen, dann verändert sich nicht nur der Umgang mit den Kranken oder den Trauernden. Dann verändert sich auch unser eigenes Leben. Denn wir merken: Schmerz gehört dazu. Er macht uns menschlich.
Und wenn wir ihm gemeinsam begegnen, dann wächst aus Schmerz manchmal sogar Tiefe, Dankbarkeit – und eine besondere Form von Nähe.
Welche Sprüche können Sie im Umgang mit Trauernden vermeiden?
- Du musst jetzt stark sein – Nein, muss er oder sie nicht. Er darf schwach sein. Darf weinen. Darf zusammenbrechen.
- Alles geschieht aus einem Grund – Welcher Grund rechtfertigt dieses Leid?
- Ich weiß, wie Du Dich fühlst"– Nein, das wissen wir nicht. Jeder Schmerz ist einzigartig.
- Ruf mich an, wenn Du etwas brauchst – Der oder die Trauernde wird nicht anrufen. Werden Sie konkret. Bringen Sie Essen vorbei. Gehen Sie mit ihm oder ihr spazieren. Rufen Sie an.
Von Herzen
Welche Kommunikation trägt? Was ist wirklich hilfreich?
- Ich bin für dich da – und dann auch da sein. Und vor allem: Bleiben Sie. Gehen Sie nicht weg.
- Es tut mir so leid – ohne ein aber anzuhängen.
- Wie geht es dir heute?– und dann die Antwort aushalten, auch wenn sie lautet: „Beschissen."
- Darf ich deine Hand halten? – Berührung kann mehr sagen als tausend Worte.
- Erzähl mir von ihm/ihr – bei Trauernden, die jemanden verloren haben. Geben Sie dem Verstorbenen Raum im Gespräch. Die Toten verschwinden nicht, wenn wir nicht über sie sprechen. Sie verschwinden, wenn wir es nicht tun.
Präsenz statt Perfektion
Wie können Sie Ihre eigene Unsicherheit und Hilflosigkeit in Selbstverständlichkeit umwandeln?
Akzeptieren Sie, dass es keine perfekte Antwort gibt. Sie müssen nicht alles richtig machen. Ihre ehrliche, unperfekte Präsenz ist mehr wert als tausend wohlformulierte, aber leere Worte.
Trauernde brauchen keine Lösungen. Sie brauchen Mitgefühl, keine Ratschläge. Sie brauchen ein offenes Ohr und keinen aufgezwungenen Optimismus. Sie brauchen jemanden, der mit ihnen in der Dunkelheit sitzt, bis sie wieder Licht sehen können.
Menschlichkeit statt Rhetorik
Liebe Leserinnen und Leser, das war mein Plädoyer für die natürliche Kommunikation mit Betroffenen. Für das Stehen bleiben statt Weglaufen. Für das Fühlen statt Verdrängen. Für die Worte, die von Herzen kommen, statt von einer Liste rhetorischer Tricks. Denn am Ende geht es nicht um Rhetorik im klassischen Sinne. Es geht um Menschlichkeit. Um Mitgefühl. Um den Mut, sich dem Schwersten zu stellen, was unser Leben bereithält: dem Abschied.
Wenn wir lernen, mit Sterbenden und Trauernden zu sprechen, lernen wir auch, intensiver zu leben. Denn die Konfrontation mit dem Tod lehrt uns den Wert des Lebens. Wie Shakespeare sagte: beides wird dadurch süßer.
Gehen Sie hinaus und haben Sie den Mut, da zu sein. Für die Menschen, die Sie brauchen. Mit all Ihrer unperfekten, ehrlichen Menschlichkeit.
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