
von Birgit Schürmann
Futschikato & Steiler Zahn - Wenn Wörter noch Schlaghosen tragen
Die Generation, die Geschichte schrieb
Um die Sprache der Babyboomer zu verstehen, um zu verstehen, was ihre Wortwahl, Inhalte und ihren Ton geprägt hat, kurz nochmal - wer sind die Baby-Boomer?
Ich stieß auf unterschiedliche Quellen: Einerseits die Jahrgänge 1946-64 und andererseits 1957-68. Ist für mich unverständlich, denn in meinen Augen macht es einen großen Unterschied, ob man 1964 oder 1984 volljährig wurde.
Fest steht, in den geburtenstarken Jahrgängen wurden laut des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung insgesamt 15,3 Millionen Kinder geboren. 1964 kamen 1.357.304 Kinder zur Welt, die meisten Babys der Nachkriegsgeschichte.
Davon
- im Westen 1.065.437,
- im Osten 291.867
- und auf 106 Jungen kamen 100 Mädchen.
Im Vergleich: 2011 war das Jahr der niedrigsten Geburtenrate, es wurden 663.000 Kinder im gesamten Bundesgebiet geboren.
Was prägte die Babyboomer?
Nach Kriegsende boomte die Wirtschaft, das Ideal der Familie wurde gesellschaftlich beschworen und viele gründeten eine Familie. Die Mütter und Väter der Boomer, die Generation der Traditionels, kämpften im 2. Weltkrieg oder erlebten ihn als Zivilisten.
Sie waren traumatisiert durch Krieg und Nachkriegszeit. Sie hatten Tod, Hunger, Kälte, Gewalt, Luftschutzkeller, Flucht und Vertreibung erlebt und schwiegen eisern.
Statt dessen legten die Traditionals Wert auf Disziplin, Stabilität und Traditionen, arbeiteten hart und packten an, damit es ihre Kinder einmal besser haben. Der Teller wurde IMMER leergegessen und es wurde gegessen, was auf den Tisch kommt. Lebensnotwendige Weisheiten der gebeutelten Generation, für ihre Kinder nicht immer verständlich.
Der Kuppeleiparagraf - Kein Sex vor der Ehe
In den 50er Jahren war das Thema Sex tabu. Sex außerhalb der Ehe galt als Unzucht. Bis 1973 galt der Kuppelei-Paragraf: Hoteliers, die Unverheiratete oder Eltern, die den Freund der Tochter übernachten ließen, machten sich der Kuppelei schuldig. Ebenso kriminalisiert wurde der schwule Sex.
Der Hüftschwung von Elvis löste nationale Empörung aus. Der Minirock, der Anfang der 60er modern wurde, war ebenfalls ein Riesen-Skandal. Die 68er Bewegung protestierte geben die rigide Sexualmoral und den Vietnamkrieg. Sie forderten, das Schweigen über den Nationalsozialismus zu brechen und ihn endlich aufzuarbeiten.
Dr. Sommer klärt auf
Die Pille kam Ende der 60er auf den Markt, die Geburtenrate knickte ein und die Hippies lebten als Teil der Revolte den Traum der freien Liebe aus.
Die Frauenbewegung der 60er und 70er rief zur veränderten Arbeitsaufteilung innerhalb der Familie und zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse auf.
Die Babyboomer sind die erste Generation, die mit dem Fernseher groß wurde und die Reklame auswendig wusste. Während der Ölkrise fahren sie sonntags mit dem Rad auf die Autobahn. Sie sind Popper und Punks, hören Musik aus dem Kassettenrecorder oder dem Walkmen, gucken MTV und fahren Interrail. Jeden Donnerstag beantwortete Dr. Sommer in der Bravo die unschuldigen Fragen der Jugendlichen.
Viel zu viele
Die Kinder der geburtenstarken Jahrgänge der 60er Jahre hatten Angst. Vor dem harten Wettbewerb, der Arbeitslosigkeit, dem Wettrüsten, dem radioaktiven Regen aus Tschernobyl, Angst, sich im im Bett mit Aids angesteckt zu haben.
Viele blieben ihr Leben lang bei einem Arbeitgeber und zu guter Letzt erfanden sie auch noch das Internet sowie das iPhone.
Natürlich hatten die Boomer auch ihren Jugendslang. Auch sie versuchten sich mit ihrer Sprache von den übrigen Generationen abzugrenzen und ihre eigene Identität aufzubauen. Einige Jugendworte haben die Jahre überstanden und sind in unseren allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen, andere erscheinen uns verstaubt und wir kennen sie kaum noch.
Vorauswahl des Boomerwortes 2024
1. Sapperlot. Sapperlot sagte man, wenn man überrascht war, es bedeutet: na sowas!, wer hätte das gedacht?, verflixt!, alle Achtung!, Respekt! oder Potzblitz!
2. Firlefanz bezeichnet Unnötiges, Überflüssiges, Unnützes, Albernes, Gerümpel oder überflüssige Dekoartikel.
3. Sportsfreund ist die Anrede für einen Freund oder Kumpel.
4. flippig sagt man, wenn es etwas ungewöhnlich ist, auffällig, ausgefallen, kommt von ausgeflippt, man könnte auch kess sagen, oder flott, abgedreht, verrückt, crazy ]oder schräg.
5. harsch: wenn etwas heftig ist, harscher Schnee, harsche Worte. Wann jemand über die Stränge schlägt, abweisend wirkt, barsch oder schroff.
6. Papperlapapp kann man mit ach Quatsch! übersetzen, eine Antwort auf etwas Unsinniges.
7. Schnabulieren: wenn man etwas sehr Leckeres isst, schmausen, naschen.
8. Steiler Zahn: wenn jemand sehr gut aussieht, sehr attraktiv ist, sexy, eine 9 oder 10 von 10, wird meist für die Beschreibung von Frauen genutzt.
9. Knorkevbedeutet soviel wie: super, großartig, wunderbar, fabelhaft, spitze, astrein. Da haben sich die Sprachexperten von TikTok und Instagram leider vertan, knorke war in den 20er Jahren des letzten Jahrhundert angesagt.
10. Obacht: Vorsicht!, aufpassen!, Augen auf!
Boomerwort des Jahres 2024
Welches der zehn Wort belegte den ersten Platz?
Auf Platz 1 geschafft hat es Der Sportsfreund mit fast 49% der Stimmen,
auf Platz 2 landete Papperlapapp und
Bronze gabs für: Schnabulieren
Boomerwort des Jahres 2025
Bis zum 23. Mai konnte online für das Boomerwort des Jahres 2025 abgestimmt werden. Hier das Ergebnis:
- Mit 34,16 % setzte sich Das Baujahr (das Geburtsjahr) durch
- Platz 2 ergatterte sich Mein lieber Herr Gesangsverein (19,85 %), ein Ausdruck für Erstaunen
- den dritten Platz belegt Der Schabernack (12,87 %)
- Trick 17 (11,84 %)
- Rechner (statt Computer) (11,62 %)
- Firlefanz (9,75 %) tauchte wieder in der Abstimmung auf.
Eine Boomerwortauswahl
Hier noch ein paar weitere Boomerworte, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte:
- Willst du mit mir gehen? = Willst du meine Freundin sein?
- Die Fete
- Der Schuppen, die Disko
- Mucke, auf die man schwofte
- Der Heiopei war auch wieder da, war mir aber schnuppe
- Der hat keine Fisiematenten gemacht wie sonst, war gut so, dem hätte ich sonst die klare Kante gezeigt
- Heidewitzka, was für ein Mordsgaudi
- Fluppen rauchte man noch im Laden
- Die Tüte drehte man draußen im Gebüsch
- Mein lieber Scholli, mein lieber Schwan, war das bombastisch gestern,
- war ich hacke, hab kaum gepooft und bin jetzt fix und foxi.
- Knete hab ich auch keine mehr.
Sprache ist nie neutral
Sprache ist nie neutral – sie ist immer auch ein Spiegel der Mentalität.
Die Boomer wurden in eine Zeit hineingeboren, in der Ordnung, Disziplin und Verlässlichkeit großgeschrieben wurden. Die Sprache sollte praktisch, verständlich und schnörkellos sein. Kein Wunder, dass ihre Sprache häufig autoritärer, klarer und auch moralisch eindeutiger wirkt als die heutiger Generationen.
Euphemismen? Fehlanzeige. Stattdessen wird das Kind beim Namen genannt. Was heute möglicherweise unsensibel gilt war damals total normal.
Doch das hat auch Vorteile:
- Klarheit in der Kommunikation
- ein feines Gespür für Verbindlichkeit
- die Fähigkeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren
OK Boomer
Während heutige Generationen mit Wörtern wie mindset, random und cringe jonglieren, sind Boomer sprachlich konservativer. Viele empfinden Anglizismen als Verhunzung der deutschen Sprache: Warum muss denn jetzt alles ein Meeting sein? Früher war’s einfach eine Besprechung!
Vor allem, wenn jüngere Generationen mehr Wert auf den Ausdruck der eigenen Befindlichkeit legen, stossen die Sprachen der Generationen aufeinander, Während Boomer denken, dass sie sich klar und direkt ausdrücken, empfinden Millennials oder Gen Z es oft als hart oder rücksichtslos.
Statt Ich fühle mich heute mental überlastet! sagt ein Boomer: Ich hab die Schnauze voll!
Den Gammler an Tisch 3 bedien ich nicht!
Sprache ist Verbindung. Sollte Ihnen demnächst ein Boomer Kopfschütteln bereiten, dann erinnern Sie sich: Wo wären wir ohne die Boomer?
Stellen Sie sich vor, liebe Frauen, Ihr Ehemann würde immer noch Ihr Vermögen verwalten, er würde über Ihr in die Ehe gebrachtes Vermögen samt Ihrem Gehalt bestimmen? Er könnte Ihren Job kündigen, weil es ihm nicht passt, dass Sie arbeiten?
Der Sex zwischen unverheirateten oder homosexuellen Paaren stünde unter Strafe?
Die Kinder würden autoritär erzogen und der Mann mit den Haaren über den Ohren wäre im Restaurant Luft für die Bedienung?
Vielen Dank an Ryan McGuire von Pixaby für das super Foto
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